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Die Kunst des Vergessens - die Kunst des Erinnerns

"Jeder Mensch trägt eine Welt in sich, zusammengesetzt aus all dem, was er je gesehen und geliebt hat, und in die er immer wieder zurückkehrt, auch, wenn er meint, eine fremde Welt zu durchstreifen und zu bewohnen." Was der französische Schriftsteller, Politiker und Diplomat François-René de Chateaubriand (1768 - 1848) aufgrund seiner intensiven Auslandserfahrungen hier formulierte, ist heute so aktuell wie einst.

Hoa Dung Clerget, Trap Lady, 2021, 130 x 150 x 60 cm, Vietnamesische Fischerreuse, Seil, Acryl Bild: GALERIE BROCKSTEDT

In der multiethnischen Gesellschaft von heute hat diese Frage nach heimatlicher Geborgenheit und kultureller Identität sogar eine zentrale Rolle erhalten und ist zusätzlich durch den neuen kritischen Umgang mit dem Thema Kolonialismus und auch durch die Bedrohung seitens autokratischer Staatsformen von höchster politischer Aktualität.

So freuen wir uns besonders, gerade jetzt in der Galerie Brockstedt die von Philippe Hostaléry kuratierte Ausstellung "Die Kunst des Vergessens - die Kunst des Erinnerns" zu zeigen, in der vier internationale Künstlerinnen und Künstler mit ihren

z.T. extra für diese Schau kreierten Werken das Thema Kolonialzeit konzeptionell aufarbeiten. Bedeutsame Reminiszenzen in unterschiedlichsten Materialien aus ihren Heimatländern erzählen in symbolträchtigen Bild-Metaphern ihre ganz persönliche

Geschichte und laden uns ein, über diese ausdrucksstarken Objekte mit ihnen in einen fruchtbaren Dialog zu treten.

Unser Bedürfnis, Wesentliches für sich und für andere festzuhalten, ist so alt wie die Menschheit: Schon im alten Ägypten hatten die Schreiber gesellschaftlich den Rang direkt unter dem Pharao, weil sie im Gegensatz zum Großteil der Bevölkerung die Kunst der gerade neu geborenen Schrift beherrschten und so Überliefernswertes aus den Bereichen Verwaltung, Poesie, Literatur, Mathematik und Medizin auf Papyrus und Ton- oder Stein-Scherben festhielten - den wesentlichen Grundpfeilern jeder Kultur. So wurden essentielle und grundmenschliche Erfahrungen vor dem Vergessen bewahrt: Diese allgemeinen kulturellen Wurzeln haben auch für uns heute noch Bedeutung und Gültigkeit, denn der Mensch bleibt doch im Grunde immer gleich mit seinen Fragen und Ängsten, seinen Beglückungen und Sehnsüchten. Die wesenhaften Bezüge aller Zeiten zu Erde und Himmel, Geburt und Tod, Nähe und Ferne, Weite und Enge betreffen uns auch heute noch, und so können wir aus der Geschichte viel lernen und auch Halt und Trost darin finden.

"Erinnerung ist Gegenwart" - postulierte einst auch schon der romantische Schriftsteller Novalis (1772 - 1801) und die jüngsten Ergebnisse der Hirnforschung haben bewiesen, dass wir uns an die emotional berührendsten Erlebnisse am besten erinnern.

Gerade aus diesem Grund sollen die lebenswichtigen Themen des Vergessens und Erinnerns in einer allgemeingültigen Sprache thematisiert werden, welche an unsere Emotionen und unsere eigene Kreativität appelliert: Die Sprache der Kunst!

An dieser Stelle möchte ich den visionären Journalisten Achilles Tsaltas von der New York Times in London zu Wort kommen lassen: "Die Kunst spielt eine solch wichtige Rolle im aktuellen Veränderungsprozess unserer Gesellschaft. Die alten Kulturen machen es uns vor, wie man Werte bewahrt. Wahrhaftigkeit, Kühnheit und Würde werden uns helfen zu blühen und zu überdauern. Und Kunst und die Liebe zu ihr ist Teil dieser Würde. Es wird höchste Zeit, die Kunst wieder in unser alltägliches Leben zu holen. Das Schaffen und die Bewunderung von Kunst ist eine der würdevollsten Tätigkeiten, die wir uns zur Gewohnheit werden lassen können, denn in jedem Moment stellen wir dabei unser wirtschaftliches und rationales Selbst in der Hintergrund und unsere Gefühle und Ideale treten nach vorne. Kunst erinnert und daran, dass es das Unaussprechliche ist, was tatsächlich zählt."

Auch die aus internationalen und traditionellen Bildwelten verschmolzenen Objekte unserer vier Künstler laden uns ein, mit neugierigem und wertungsfreiem Blick zu forschen und uns von der Poesie ihrer surreal verfremdeten heimatlichen Erinnerungen erfassen zu lassen, in der ihre leuchtenden Farben, aber auch ihre Narben Raum haben. So wie sie selbst sind auch ihre Arbeiten schon Teil der hiesigen Kultur geworden - einer neuen Welt kultureller Vielfalt, in der Kunst einen wichtigen Beitrag für tolerante und offene Begegnungen und anregenden Austausch zu leisten vermag. (GB)

Text: Barbara Brockstedt

 Quelle: GALERIE BROCKSTEDT (GB)

 

 

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